Nachlassarbeit als Teil historischer Forschung

Quellenlage

Scheler hat einen umfangreichen Nachlass hinterlassen. In der Bayerischen Staatsbibliothek in München. findet sich eine umfangreiche Sammlung von Arbeitsheften mit Vorstudien, Entwürfen und Gliederungen zu verschiedensten Themengebieten, fortlaufende Notizbücher, Korrekturfahnen und Manuskripte von Drucktexten, Briefe, Fotographien, Verlagsunterlagen sowie der erhaltene Teil von Schelers Privatbibliothek. Der Großteil des relevanten Materials, das direkt dem Scheler Nachlass zugeordnet wird, findet sich unter der Signatur Ana 315. Einige Vorlesungsmitschriften und Fotographien finden sich auch unter der Signatur Ana 385 (Sammlung Phaenomenologica) und im Nachlass von Herbert Leyendecker (Ana 375).

1975 veröffentliche Eberhardt Avé-Lallemant ein Verzeichnis der Nachlässe der Münchener Phänomenologen, in dem auch Schelers Nachlass katalogisiert wurde. Das Material ist dort grob nach Themengebieten geordnet. Ein Großteil des Scheler-Nachlasses und auch das Verzeichnis ist über den Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek online zugänglich. Im Online-Katalog kann direkt nach den Signaturen gesucht werden. Einige der Nachlassmaterialien wurden von Maria Scheler maschinenschriftlich transkribiert. Große Teile der Typoskripte sind nicht erhalten. Von den transkribierten Materialien wurden einige aber bei weitem nicht alle in den Nachlassbänden der Gesammelten Werke Schelers veröffentlicht.

Probleme

Es wurde nie systematisch aufgearbeitet, welche der von Maria Scheler transkribierten Manuskriptseiten verloren gegangen sind und eine Zuordnung der in den Gesammelten Werken veröffentlichten Texte zu den Materialien in der Bayerischen Staatsbibliothek ist zwar anhand der Register zu den jeweiligen Bänden möglich, allerdings sehr zeitaufwendig. Daher existiert zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Hilfsmittel, dass es interessierten Forschenden ermöglicht, zu erkennen, welche Nachlassmaterialien veröffentlicht wurden und wie vollständig diese Veröffentlichungen sind. Wolfhart Henckmann hat für einige der veröffentlichten Texte nachgewiesen, dass die Transkriptionen problematisch sind. Ebenfalls existiert noch kein Verzeichnis der Inhalte von Schelers fortlaufenden Notizbüchern und die, schlüssige aber grobe Einteilung im Verzeichnis von Avé-Lallemant erschwert die Suche nach Arbeiten zu einzelnen Themen, da Schelers Arbeitshefte nicht immer streng thematisch geordnet sind. Die Arbeit mit dem handschriftlichen Material wird durch Schelers recht ungewöhnliche Kurrent-Handschrift erschwert. Die verfügbaren Bibliographien der Werke Schelers sind unvollständig und teilweise fehlerhaft. Damit fehlen viele wichtige Grundlagen für Quellenuntersuchungen und hermeneutische Arbeit, die im Rahmen des Projekts erarbeitet werden und teilweise bereits jetzt von interessierten Forschenden genutzt werden können.  

Projektkomponenten

Digitaledition

Gerahmt werden die Forschungsarbeiten durch d die Erarbeitung einer kritische Edition von vier der ersten Texte Schelers, die ins Französische übertragen wurden: Liebe und Erkenntnis, Reue und Wiedergeburt, Vom Sinn des Leides und Das Ressentiment im Aufbau der Moralen. Ediert werden alle zu Schelers Lebzeiten veröffentlichten Druckfassungen der Texte, sowie relevantes und noch nicht transkribiertes Nachlassmaterial. Die Materialien werden im Rahmen der inhaltlichen Tagungen des Projekts genutzt.

Briefverzeichnis

Briefe sind eine wichtige Quelle sowohl für die philologischen Feinheiten der Editionsarbeit als auch für die Milieuforschung. Im Rahmen des Projekts wird daher ein  Verzeichnis von Briefen an, von und über Scheler erarbeitet und einige bisher unveröffentliche Korrespondenz transkribiert.

Grußworte an Freunde Schelers in Pontigny aus einem Brief von Ernst Robert Curtis vom 01.08.1924.

Neukatalogisierung des Nachlasses

Im Rahmen des Projekts wurden erstmals die Inhalte aller Arbeitshefte und Notizbücher auf Seitenebene erfasst und Themengebieten zugeordnet. Anhand dieses Katalogs wurden die zu transkribierenden Materialien für die Editionen der Texte ausgewählt. Im nächsten Schritt wird eine genaue Korrespondenz zwischen den erhaltenen Nachlassmaterialien, den von Maria Scheler transkribierten Texten und den in den Gesammelten Werken und darüber hinaus publizierten Texten erarbeitet. Interessierte können sich gern an uns wenden.

Schelers Bibliothek

Schelers Privatbibliothek ist eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion seiner Denkwege und für Nachweise zu persönlichen Bekanntschaften. Sowohl in die Editionsarbeit als auch in die Milieuforschung fließen daher dort zu findende Lesespuren ein. Die erhaltenen Bestandteile von Schelers Privatbibliothek in der Bayerischen Staatsbibliothek wurden von den Projektmitararbeiten erfaßt und in eine öffentliche Zotero Gruppe übertragen, die von Interessierten genutzt werden kann. Anmerkungen zu Lesespuren werden im Laufe des Projekts dort regelmäßig ergänzt. Auch andere Forschende sind herzlich eingeladen, die Datenbank zu ergänzen.

Bibliographie

Eine vollständige, autoptisch geprüfte Bibliographie der Werke Schelers ist sowohl Vorraussetzung für die kritische Edition von Schelers Werken als auch für einen korrekten Umgang mit der historischen Entwicklung seiner Thesen. Sie soll sowohl in gekürzter Form digital zur Verfügung gestellt werden, als auch als eigenständige Veröffentlichung erscheinen. Nur so werden beispielsweise Schelers Verbindungen zu Literatenkreisen wirklich sichtbar. So veröffentlichte Scheler beispielsweise im gleichen Heft der Weißen Blätten, in dem sich die Erstveröffentlichung von Franz Kafkas Verwandlung findet.